Herr Bock­lmann ist da­ge­gen

Hoch soll sie le­ben, hoch soll sie le­ben, drei Mal hoch! Schon mor­gens hat­ten sie Ele­na ein Ständ­chen ge­lun­gen, die Freun­din­nen und Freun­de aus der Stra­ße, die Ober­bür­ger­meis­te­rin und Herr Bock­lmann, zwar et­was schräg, aber doch sehr schön.

90 Jah­re, das ist schon was! Am Nach­mit­tag er­war­te­te Ele­na die Ge­burts­tags­gäs­te, aber vor­her hat­te sich ei­ne Re­por­te­rin an­ge­kün­digt. Ele­na stell­te den Ap­fel­ku­chen auf den Tisch, selbst­ge­ba­cken aus ei­ge­nen Äp­feln. Der Ap­fel­baum stand als Spa­lier vor der Haus­tür. Ele­na er­in­ner­te sich, wie sie ei­ne der al­ten Ap­fel­sor­ten vor dem Aus­ster­ben ge­ret­tet hat­te. Das wür­de sie der Re­por­te­rin auf je­den Fall er­zäh­len. Und dann na­tür­lich auch von Herrn Bock­lmann, der im­mer ge­gen al­les war.

Freiheit, die ich meine: Fast autofreie Fürther Freiheit (Foto: Ralph Stenzel)

Es klin­gel­te und Ele­na öff­ne­te die Tü­re für Ma­nia Ran­dell, die für die Für­ther Nach­rich­ten ein In­ter­view mit ihr ver­ein­bart hat­te, denn schließ­lich war Ele­na ei­ne Zeit­zeu­gin, ei­ne, die die Für­ther Wen­de mit­ge­stal­tet hat­te.

»Wie al­les an­ge­fan­gen hat? Wenn ich mich recht er­in­ne­re, mit ei­nem Hoch­beet auf der Für­ther Frei­heit. Da­mals war die Frei­heit noch ein gro­ßer Park­platz, kön­nen Sie sich das vor­stel­len?«

Ma­nia Ran­dell konn­te, denn sie hat­te auf den Ar­chiv­bil­dern ge­se­hen, wie die Stadt da­mals von Au­tos be­herrscht wur­de.

Wenn sich Ele­na an ih­re Ju­gend er­in­ner­te, so hat­te sie den Ab­gas­ge­ruch in der Na­se, das lau­te im­mer­wäh­ren­de Sur­ren des Ver­kehrs. Sie hat­te Au­tos ge­hasst, war meis­tens mit dem Fahr­rad un­ter­wegs und fühl­te sich oft be­drängt, wenn die Au­tos kei­nen Ab­stand hiel­ten.

»Al­les vol­ler Au­tos«, fuhr Ele­na fort, »nur zu gro­ßen Fes­ten wur­de die Frei­heit von den Au­tos be­freit und na­tür­lich für die Für­ther Kirch­weih. Üb­ri­gens, ken­nen Sie Herrn Bock­lmann, den ehe­ma­li­gen Stadt­rat? Herr Bock­lmann fuhr da­mals ei­nen 5er BMW und er reg­te sich im­mer auf, wenn schon Mit­te Sep­tem­ber die In­nen­stadt ge­sperrt wur­de und die Au­tos der Für­ther Kär­wa wei­chen muss­ten.«

Ma­nia ver­zog das Ge­sicht: »Ach, den Bock­lmann, den kenn ich gut, das ist der, der stän­dig Bür­ger­me­mos an die Für­ther Nach­rich­ten schickt. Und stel­len Sie sich vor, bei der letz­ten Kär­wa hat Herr Bock­lmann sich be­klagt, dass der Gar­ten auf der Frei­heit spä­tes­tens En­de Sep­tem­ber ab­ge­ern­tet wird, das sei doch nicht nö­tig, mein­te er.«

»Ja, ge­nau der Herr Bock­lmann, wo im­mer es geht, ist er da­ge­gen, aber manch­mal – wenn auch Jah­re spä­ter – än­dert er dann sei­ne Mei­nung. Jetzt fin­det er den Frei­heits-Gar­ten gut. Frü­her war er ge­gen die Be­grü­nung, schon weil er sei­nen ei­ge­nen Gar­ten hat­te um­ge­stal­ten müs­sen. Der war vol­ler Stei­ne, Was­ser und Sand. Feng-Shui, hat­te er ein­mal zu mir ge­sagt und ge­zwin­kert, das setzt ro­man­ti­sche En­er­gien frei! Na ja, ein at­trak­ti­ver Mann war er schon, der Herr Bock­lmann, auch heu­te noch, aber halt im­mer da­ge­gen. Spä­ter, als es dann in der Stadt im­mer hei­ßer wur­de, da half ihm al­les Feng-Shui nicht, da kam er ger­ne in mei­ne küh­le Woh­nung, denn durch die Haus­be­grü­nung ist es bei mir meis­tens ganz an­ge­nehm.«

Auch heu­te war Ele­nas Woh­nung gut tem­pe­riert, ins­ge­samt konn­te man es in Fürth auch bei Hit­ze aus­hal­ten, die meis­ten Stra­ßen wa­ren be­grünt.

Ele­na dach­te dar­an, wie schon das Mit­ein­an­der durch die ge­mein­sa­me Gar­ten­ar­beit ge­wor­den war, wie sich Be­zie­hun­gen ge­än­dert hat­ten und die Stadt, trotz Kli­ma­wan­del, le­bens­wert ge­blie­ben war. Und dann fiel ihr wie­der Herr Bock­lmann ein, der zwar nicht gärt­ner­te, aber doch An­teil an der Be­we­gung nahm. Ir­gend­wie hat er sie all die Jah­re doch im­mer be­glei­tet.

»Wis­sen Sie, Frau Ran­dell, als wir Mit­te der 20er Jah­re das Al­men­de­we­sen ein­führ­ten und je­der al­les ern­ten durf­te, fürch­te­te Herr Bock­lmann, dass das nur Schma­rot­zer an­zie­hen wür­de. An­fangs sah es so­gar so aus, als hät­te er Recht. Ich war auch oft ganz schon sau­er, wenn mei­ne Ern­te mal wie­der über Nacht ver­schwun­den war. Aber das Gärt­nern war an­ste­ckend, bald bau­te je­der Obst und Ge­mü­se an, das Saat­gut wur­de ja von den Steu­er­gel­dern be­zahlt. Schon im drit­ten Jahr war klar, dass es ge­nug für al­le gab und die Raub­zü­ge wur­den sinn­los, ich glau­be so­gar, dass manch ehe­ma­li­ger Dieb un­ter die Gärt­ner ging.«

Für Ma­nia Ran­dell war es selbst­ver­ständ­lich, sich im­mer und über­all mit feins­tem Obst und Ge­mü­se be­die­nen zu dür­fen. Und sie freu­te sich über die gu­te Luft, das funk­tio­nie­ren­de Ver­kehrs­sys­tem und die Le­bens­qua­li­tät in ei­ner Stadt oh­ne Au­tos. Wie es da­zu ge­kom­men war? »Nun, als man das Au­to ge­gen frei­en Nah­ver­kehr oder ein hoch­wer­ti­ges E‑Bike ein­tau­schen konn­te, hat­ten die meis­ten frei­wil­lig auf ihr Au­to ver­zich­tet. Und spä­ter hat­ten wir wirk­lich mu­ti­ge Stadt­rä­tin­nen und Stadt­rä­te, die – über al­le Par­tei­gren­zen hin­weg – den Ent­schluss fass­ten, Fürth für pri­va­te Au­tos zu sper­ren. Sie kön­nen sich schon den­ken, dass Herr Bock­lmann wie­der mal da­ge­gen war.«

Ele­na fuhr in­zwi­schen nicht mehr mit dem Rad, son­dern nutz­te den frei­en Nah­ver­kehr. Sie ge­noss es, oh­ne Fahr­schein zu fah­ren und höchs­tens drei Mi­nu­ten auf ei­nen Bus war­ten zu müs­sen.

»Üb­ri­gens, Frau Ran­dell, sie kön­nen sich wahr­schein­lich gar nicht vor­stel­len, wie kom­pli­ziert frü­her das öf­fent­li­che Nah­ver­kehrs­sys­tem war. Da muss­te man ver­schie­dens­te Fahr­schei­ne lö­sen und hat­te dann nicht mal ei­nen ei­ge­nen Platz. Und man muss­te an vor­ge­ge­be­nen Hal­te­stel­len ein- und aus­stei­gen und manch­mal so­gar zwan­zig Mi­nu­ten auf ei­nen Bus war­ten. Fürch­ter­lich war das, vor al­lem im Win­ter!«

Auch Ma­nia Ran­dell fuhr ger­ne mit den Öf­fent­li­chen und be­stä­tig­te Ele­na, dass auch die Le­se­rin­nen und Le­ser voll des Lo­bes sei­en, nur Herr Bock­lmann be­schwe­re sich oft und hät­te letz­te Wo­che wie­der ein Me­mo ge­schrie­ben, weil er kei­nen Fens­ter­platz be­kom­men hat­te.

»Aber wis­sen Sie«, sag­te Ele­na nach­denk­lich, »manch­mal soll­te man auch auf Herrn Bock­lmann hö­ren, manch­mal hat Herr Bock­lmann tat­säch­lich Recht. Als ich mich da­mals ha­be chip­pen las­sen, um ein­fa­cher rei­sen und be­zah­len zu kön­nen, da hat Herr Bock­lmann mich ge­warnt. Tue das nicht, El­li, hat­te er zu mir ge­sagt, mich rast schon an­ge­fleht. Da kön­nen sie dich je­der­zeit und über­all über­wa­chen, sie kön­nen Soft­ware auf­spie­len, die du nicht be­stellt hast, ja ich fürch­te so­gar, sie kön­nen dein Ge­hirn ma­ni­pu­lie­ren. Ge­hirn ma­ni­pu­lie­ren, so ein Quatsch, dach­te ich. Und dann gab es doch die­sen Skan­dal, wo man tat­säch­lich Men­schen mit dem Chip ma­ni­pu­liert hat­te, um an­de­re zu tö­ten. Zwar nicht bei uns, aber mir ist ganz an­ders ge­wor­den. Ich hab mir den Chip dann gleich raus­ope­rie­ren las­sen und heu­te ist das Gott-sei-Dank nicht mehr mo­dern.«

Ma­nia Ran­dell er­in­ner­te sich, das war ein Hype in ih­rer Ju­gend. Auch sie woll­te sich da­mals chip­pen las­sen, doch ih­re El­tern hat­ten es nicht er­laubt. Welch ein Glück.

»Ja«, fuhr Ele­na fort, »das hat ja für vie­le ein Um­den­ken be­wirkt. Seit­dem grei­fen die meis­ten Men­schen doch wie­der auf das gu­te al­te Te­le­fon als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­mit­tel zu­rück. Aber ich schwei­fe ab. Ob­wohl, wit­zig ist das schon, dass vie­les wie­der in Mo­de ist, was ich von frü­her her ken­ne. Ih­re Zei­tung er­lebt ei­nen Auf­schwung, die Men­schen le­sen wie­der und schau­en Sie, so­gar im Für­ther Stadt­thea­ter gibt es jetzt wie­der ech­te Schau­spie­ler und nicht mehr nur die­se un­säg­li­chen Ho­lo­gram­me und KI-Vor­stel­lun­gen. Nächs­te Wo­che gibt es ei­ne Wie­der­auf­nah­me aus mei­ner Ju­gend, die Schnee­kö­ni­gin. Ich ha­be mir zwei Pre­mie­ren­kar­ten von mei­nen Kin­dern zum Ge­burts­tag ge­wünscht.«

Viel­leicht kann ich ja Herr Bock­lmann wirk­lich über­re­den mit­zu­kom­men, dach­te Ele­na bei sich. Von un­ten hör­te sie die Ge­burts­tags­ge­sell­schaft an­kom­men. Sie hat­te schon ein Schnäps­chen für Herrn Bock­lmann be­reit­ge­stellt und – wer weiß – viel­leicht wür­de sie ihm heu­te er­lau­ben, län­ger zu blei­ben.

 
Die­ser Text er­rang beim Schreib­wett­be­werb »Fürth im Über­mor­gen« den 3. Platz und wur­de 2021 in der ent­spre­chen­den An­tho­lo­gie ver­öf­fent­licht.

 
Lust auf mehr?
Bri­git­te Stenz­horn im Für­thWi­ki
Der Mond steht Kopf – Kurz­ge­schich­ten und Mi­nia­tu­ren von Bri­git­te Stenz­horn
Nach­hal­tig­keits­netz­werk Fürth im Über­mor­gen

Kommentar abgeben:

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Required fields are marked *