Graue Energie
Ralph Stenzel
Fotos: Robert Söllner
25. Mai 2024
Tobias Rempp - Ein Meister des Leichten im Schweren
Tobias Rempp (geboren 1962 in Stuttgart) ist Bildhauer und bildender Künstler. Er studierte von 1989 bis 1995 Bildhauerei und Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Nürnberg. In seinem Atelier in der Vacher Straße 30 fertigt er nicht nur im Wortsinne gewichtige Plastiken aus Sichtbeton. An einem sonnigen Frühlingsnachmittag setzte er dem Trifolia-Team die Essenz seines Arbeitens auseinander und gewährte einen Blick unter die Oberflächen von Werk und Werkstatt...
Wie bist Du auf den Werkstoff Beton verfallen und welche Eigenschaften des Materials machen es für Dich so interessant?
Ich habe mich nicht zuerst über mögliche Materialien theoretisch informiert und dann beschlossen, was ich praktisch verwenden will. Vielmehr sind wir – der Beton und ich – uns begegnet und wir haben uns dann sozusagen aufeinander eingelassen.
Gerade seine Allgegenwärtigkeit, seine Profanität ist für mich ein Angebot, etwas »Überraschendes« mit ihm anzustellen. Der Prozess der Umwandlung – aus flüssig wird fest – übt eine große Faszination auf mich aus. Der Bau der Schalung für den Guss, wie ich ihn betreibe, hat eine konstruktiv-erfinderische Komponente, die mich reizt, immer wieder neue Wege zu gehen.
Das Material bietet ein erstaunliches Spektrum an Farben und Oberflächen; es bildet alles ab. Außerdem hat Beton viele Eigenschaften, die den in traditionellen Gussverfahren verwendeten Materialien sehr ähnlich sind. Durch die Verwendung von Flussmitteln kann beispielsweise auf das mechanische Verdichten verzichtet werden, d.h. der flüssige, »selbstverdichtende« Beton kann ähnlich wie Gips verarbeitet werden.
Im Gegensatz zum Gips, der in der Bildhauerei hauptsächlich zum Abformen bzw. zum Erhalten verwendet wird, ist Beton aber ungleich dauerhafter, also viel härter, wetter- und frostfest. Zudem ist er gut in großen Mengen verfügbar.
Die Lehrtätigkeit an der Fakultät Architektur der TH Nürnberg – insbesondere die von mir betreuten Seminare »Gestalten mit Sichtbeton« – haben mir viele Anregungen gegeben und mir auch fruchtbare Kontakte zu etlichen Fachleuten sowie deren Interesse an meiner Arbeit eingebracht.
Beton ist also ein sozusagen berechenbares Material. Bist du damit in deiner gestalterischen Kreativität völlig frei oder gibt es dennoch materialbedingte Einschränkungen beim Schalungsbau, die du beachten musst?
Grundsätzlich gibt es viele Anforderungen an den Bau der Schalung, die ich natürlich beachten muss, zu nennen wären Aspekte wie Dichtigkeit, Druckfestigkeit, Anhaftung usw. Frei bin ich also so nur insoweit, wie ich die Grenzen des Machbaren erkenne und respektiere.
Gleichwohl gibt es jede Menge Überraschungen bei meiner Methode, direkt Negativformen zu bauen. Was genau ich geschaffen habe, sehe ich erst, wenn ich das erhärtete Objekt ganz ausgeschalt habe. Auch meine Manipulationen mit plastischem bzw. losem Material wie Ton und Sand sind nur bedingt planbar.
Speziell bei den »Erosionen« – wo ich während der Betonage losen Sand einbringe – kommt zu dem geplant Konstruktiven des Schalungsbaues ein spontaner Aspekt. In der relativ kurzen Zeit des Gießens ist mein »Auftritt« entscheidend für das Ergebnis: Alle Manipulationen werden gleich wieder durch frischen Beton verdeckt, d.h. ich arbeite dabei mit höchster Konzentration. Ich mache mir vorher keine Markierungen, wo was hinkommt, es bleibt ein spontaner Prozess.
Der Bau der Formen und die »Action« beim Gießen sind also nicht nur technisch anspruchsvoll – wie auch bei anderen Gusstechniken – sondern sie sind die gestaltende Tätigkeit schlechthin.
Welche Materialeigenschaften sind aus Deiner Sicht noch erwähnenswert?
Bei aller Sprödheit ist Beton auch sehr empfindlich; man sieht wirklich alles. Jede Varianz in der Oberfläche der Schalung wird abgebildet; sogar Bleistiftstriche vom Holz der Schalung werden auf den Beton übertragen. Bei meinem Wandobjekten »Bicolore« und »Tricolore« rührt die Farbigkeit des Materials allein von der Art der Schalung her : saugendes, sägeraues Holz macht den Beton dunkler, nicht saugende Siebdruckplatten machen ihn heller.
Auch ist es erstaunlich, wie kleinste Veränderungen im Material und in den Rahmenbedingungen – wie z.B. die Luftfeuchtigkeit und die Raumtemperatur – die Ergebnisse beeinflussen. Ein Experiment mit demselben Ergebnis zu wiederholen ist praktisch unmöglich; was natürlich Angebot und Aufforderung zugleich ist, eine exakte Wiederholung gar nicht erst zu versuchen!
Mit der »Freiheit der gestalterischen Kreativität« ist das so eine Sache. Wenn man kreativ sein will, geht das meist zu Lasten der Gestaltung. Jedenfalls suche ich eher das Zwingende, die Form, die so sein muss.
Trotz aller Individualität sind Deine Schöpfungen bestimmten Werkreihen zuzuordnen. In der Serie »Fermentation« – in der von Beton umflossene Tonkugeln nach dem Guss entfernt werden und durch die runden Hohlräume sozusagen ein teilweise immaterielles Objekt entsteht – finden sich Wand- und Standobjekte, die sich durch eine besondere »Luftigkeit« auszeichnen. Der krasse Kontrast zwischen schwerem Material und leichter Anmutung verleiht den Skulpturen eine archaische Ausstrahlung, mitunter gar eine geradezu sakrale Aura. Sind solche Assoziationen beabsichtigt, sollen Deine Arbeiten eine bestimmte Aussage transportieren oder geht es Dir einzig um die ästhetische Wirkung der Form an sich?
»Fermentation« ist bei mir der Oberbegriff für Objekte, die ich unter Verwendung von Tonkugeln herstelle, woraus sich hernach runde Hohlräume ergeben. Da gibt es verschiedene Ebenen: Einerseits die formale Herausforderung, ein schweres, mit Massivität verbundenes Material bis an die Grenze des Machbaren durch Hohlräume leicht zu machen. Es von seiner eigentlichen Funktion – dem Tragen von Lasten – zu entfremden.
Übrigens versuche ich das mit meinen neuesten Objekten – den »Wolken« – noch weiter zu treiben: Sie fliegen, sie hängen an einem Stahldraht und haben gar keine Standfläche mehr. Da arbeite ich eben mit dem Kontrast von »Schwere« und »Schweben«.
Andererseits steckt in der Skulptur stets etwas von einem sakralen Gegenstand; es gibt fast immer Assoziationen zu Idol, Grabplatte, Altar usw. sowie zu tradierten architektonischen Elementen. Das nehme ich nicht nur billigend in Kauf, sondern ich arbeite bewusst mit dem, was Du archaische Ausstrahlung/sakrale Aura nennst.
In seiner Rede zu meinen »Stillen Arbeiten«, einer kleinen Ausstellung mit Fundstücken, sprach Jörg Pieters schon Ende 2014 von Hierophanie, also dem Aufscheinen des Heiligen im Profanen. Jedenfalls trägt die Sprödheit in Verbindung mit einer gewissen – rätselhaften – Zweckfreiheit durchaus zu dieser Aura bei.
Wie ist es bei Deiner Kunst um das Verhältnis zum Handwerk bestellt, Du hast mal erwähnt, dass Du da viel gemacht hast – unter anderem in Italien?
In den 15 Jahren, in denen ich hauptsächlich in Italien war, habe ich in vielen handwerklichen Bereichen gearbeitet. Das funktionierte da weniger nach Ausbildung und Titel. Nach dem Prinzip: »Was ich beobachtet habe wie es gemacht wird, was ich verstanden habe, das kann ich mir selber beibringen« habe ich in verschiedenen Gewerken gearbeitet und viel gelernt. Die Zeit auf den Baustellen ging immer am besten rum, wenn ich es mit Interesse und aus intrinsischer Motivation heraus gemacht habe.
Die reiche Erfahrung kommt mir bei meiner experimentellen Bildhauerei sehr zugute. Im Bau der Schalung steckt stets ein wenig Tüftelei. Ich verstecke sie nicht, mache sie aber auch nicht zum Thema. An technischer Erfindung interessiert mich einzig der Zweck, die »Maschine an sich« hingegen nicht. Bei Innovationen in der Kunst besteht oft ein enger Zusammenhang zwischen Werk und Werkzeug bzw. Methode.
Du bist auch in der Lehre tätig. Was möchtest Du Deinen Studenten und Studentinnen mitgeben, worauf kommt es Dir besonders an?
Seit 2008 nehme ich Lehraufträge an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule in Nürnberg im Fachbereich Architektur wahr. Als Künstler/Bildhauer betreue ich verschiedene Seminare im Bereich des Gestaltens: »Beobachten – Erkennen – Darstellen« ist das Motto der Seminare im Freihandzeichnen. Da geht es einerseits um räumliches Zeichnen, Perspektive, Zeichnen im Stadtraum und andererseits um Zeichnen nach der Natur, z.B. im Botanischen Garten oder Aktzeichnen. Zu allererst lade ich die Studierenden dazu ein, genau hinzuschauen. Das Zeichnen gibt einem dafür erst mal Zeit und Gelegenheit, sich mit Grundfragen der Gestaltung zu befassen. Zeichnen ist auch sehr »ehrlich«, das heißt Probleme sind gut zu erkennen, man kann an ihnen vieles verdeutlichen
Eine besondere Herausforderung ist dabei stets das Übertragen von räumlichen Situationen auf die Fläche, auf das Papier. In meiner »Schule des Sehens« versuche ich, den Leuten Freude an der Betrachtung ihrer Umgebung, aber auch ihrer selbst zu vermitteln. Denn »es gibt keine standpunktfreie Erkenntnis“, wie Prof. Horst Dittrich postulierte. Die eigene Handschrift, ihre Individualität respektiere ich bei den Studierenden, das bringen sie gewissermaßen mit. Mit möglichst viel Objektivität bei Aufgabenstellung und Korrektur lenke ich gewissermaßen ab von der Stilsuche.
Dann habe ich noch diverse Seminare im »Plastischen Gestalten« und im »Gestalten mit Sichtbeton« betreut. Da sind zum Teil große, sehr gelungene Objekte entstanden, an denen die Teilnehmenden den gesamten Prozess – vom ersten Kennenlernen des Materials über die Ideenfindung bis zur Ausführung – durchleben konnten. Während der Kurse ist es oft ein anstrengendes Ringen mit den Jugendlichen – die kennen das anscheinend nicht, dass einer was von ihnen will – aber hinterher sind sie meist doch stolz auf das, was sie geschaffen haben.
Die Begegnung mit einer anderen – jüngeren – Generation ist ein positiver Kontrast zu der doch eher einsamen Tätigkeit im Atelier; das Formulieren der eigenen Vorstellungen zur Weitergabe an andere bietet eine gute Möglichkeit, die eigenen Ansichten zu prüfen. Im Prozess der Seminare sehe ich sehr viele unterschiedliche Herangehensweisen und Ergebnisse, das ist anregend und schult meine Wahrnehmung, zumal ich immer wieder gefordert bin, darüber zu kommunizieren.
Lust auf mehr?
Tobias Rempp im FürthWiki
Website von Tobias Rempp
»Künstlerisches Schwergewicht« in zonebattler’s homezone 2.1